Besser ohne Wachstum: Anders Wirtschaften

Der Wandel zu einem guten Leben für alle ist mit dem jetzigen Wirtschaftssystem nicht möglich. Alternativen werden diskutiert und entwickelt. Ein Beitrag aus der Zeitschrift SOL, von Andreas Exner.

Soziale Bewegungen wie Fridays for Future beginnen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass Lösungsstrategien nicht einfach darin bestehen, neue Technologien einzusetzen und die Effizienz weiter zu steigern. Denn die Art, wie die meisten Menschen im Globalen Norden produzieren und konsumieren, muss grundlegend verändert werden.

Drang und Zwang zum Wachstum

Seit vielen Jahren werden alternative Wirtschaftsweisen, die den Menschen und Beziehungen ins Zentrum stellen, diskutiert und weiterentwickelt. So fand im Jahr 2008 die erste internationale Konferenz zu „Degrowth“ statt. Der Begriff ist nicht leicht ins Deutsche zu übertragen. Meist wird hier von „Postwachstum“ gesprochen. Die Kernfrage: Wie kann ein System überwunden werden, das auf fortlaufendem wirtschaftlichem Wachstum beruht?

Dieses Wachstum wird in ökonomischen Statistiken als jährliche Zunahme des gesamten Werts aller Güter und Dienstleistungen einer Volkswirtschaft gemessen. Darauf zielt im Regelfall die Wirtschaftspolitik. Denn Wachstum gleicht unter anderem Rationalisierungen aus. Neue Maschinen steigern die Arbeitsproduktivität: Mit weniger Arbeit wird gleich viel (schneller) hergestellt. Wenn die Produktion wächst, behalten Menschen dennoch ihren Arbeitsplatz. Weil in einer Marktwirtschaft alle Unternehmen in der Konkurrenz bestehen müssen, sind sie freilich auch gezwungen, so viel bzw. so effizient zu produzieren wie möglich.

Die Wirtschaft wächst daher auch ohne politische Eingriffe. Dafür ist nicht nur die Ausweitung der Produktion verantwortlich, die von der Konkurrenz erzwungen wird. Sie ergibt sich auch daraus, dass die Art des Wirtschaftens, wie es heute dominiert, von Märkten abhängt. Auf Märkten werden Güter und Dienstleistungen gegen Geld getauscht. Alle Mittel, die ein Unternehmen zur Produktion benötigt, müssen gekauft werden, und alles, was produziert wird, muss verkauft werden. Unter diesen Umständen vergleicht ein Unternehmen notgedrungen Ausgaben in Geld mit Einnahmen in Geld. Ausgaben und Einnahmen haben denselben Maßstab: Geld. Von sich selbst kann sich Geld nur der Menge nach unterscheiden. Gleich viel einzunehmen wie auszugeben, macht unter dem Gesichtspunkt rein marktwirtschaftlichen Handelns keinen Sinn. Weil Geld an sich kein konkretes Bedürfnis befriedigt, gibt es für die Geldvermehrung als solche keine Grenze. Geld macht nicht satt. Deshalb ist das Wachstum im Rahmen einer Geldwirtschaft unersättlich. Zugleich bleiben jene Bedürfnisse ungesättigt, die sich nicht am Markt mit Geld Gehör verschaffen können.

Die Probleme des Wirtschaftswachstums

Die eigentliche Problematik des Wirtschaftswachstums besteht nicht darin, dass monetär bemessene Leistungen (Güter, Dienstleistungen) zunehmen. Ändert man den Indikator solchen Wachstums, kann auch eine Wirtschaft mit weit weniger Gütern (und mehr persönlichen Dienstleistungen) wachsen. Nur bleibt ein solcher Indikator dem Profitmotiv äußerlich. Das herkömmliche Maß für Wirtschaftswachstum drückt aus, dass konventionelle Unternehmen in der Regel einen Überschuss im Vergleich zu den Einnahmen der Vorperiode erzielen (müssen), d.h. Profit. „Schrumpfen“ können sie in finanzieller Hinsicht gar nicht, denn das gilt als „Bankrott“.

Dass Dienstleistungen in ökologischer Hinsicht einen Ausweg bieten, ist fraglich. Die Ökonomien des Globalen Nordens sind bereits sehr dienstleistungsintensiv – aber verbrauchen deshalb nicht weniger Ressourcen. Eine absolute „Dematerialisierung“ von Wirtschaftswachstum ist nicht zu beobachten.1 Tatsächlich benötigen die meisten Dienstleistungen viel Energie und andere Ressourcen. Sie zielen vor allem darauf, Produktion und Verkauf von materiellen Gütern zu beschleunigen. Zudem hat sich ein Teil der industriellen Produktion in den Süden verlagert. Persönliche Dienstleistungen wie Pflege, Betreuung, Bildung und Kultur sind für die auf Wachstum orientierte Wirtschaftsweise nur von geringem Interesse, weil sich dort die Arbeitsproduktivität kaum steigern lässt. Auch in solchen Bereichen wäre ein Wachstum jedenfalls begrenzt.

Demonstration am Ende der Vierten Internationale Degrowth-Konferenz, Leipzig, 2014; Quelle: Degrowthfotos via Wikimedia, CC BY-SA 3.0 DE

Die Probleme einer Wirtschaftsweise, die sich am Profit orientiert, sind nicht auf die Emission von Treibhausgasen beschränkt. Das Wirtschaftswachstum geht allgemein damit einher, dass mehr Ressourcen verbraucht und mehr Abfälle und Abgase in die Umwelt im buchstäblichen Sinn entsorgt werden. Viele hoffen demgegenüber auf weitere Effizienzsteigerungen. Produkte sollen mit weniger Ressourceneinsatz hergestellt werden. Doch ist die Steigerung der Effizienz mit dem Wirtschaftswachstum eng verbunden. Sie wird üblicherweise kompensiert, weil die Produktenmenge zugleich wächst. Denn was sich ein Unternehmen an Produktionskosten erspart, gibt es in Form von Investitionen zumeist wieder aus, um die Produktion zu erweitern und zu beschleunigen. Auch Konsumierende verwenden eingesparte Geldmittel in der Regel erneut für Käufe. Dieses Phänomen ist als „Rebound-Effekt“ bekannt. Und auch erneuerbare Energien sind keineswegs grenzenlos. Beispielsweise ist die Gewinnung von Solarenergie den ökologischen, ökonomischen, sozialen und mitunter auch den materiellen Grenzen der Verfügbarkeit von Metallen und Landfläche unterworfen, die für Kollektoren, Speichermedien und elektrische Leitungen benötigt werden. Sie muss sich an den technischen Anforderungen der Stromverteilung und -speicherung ebenso wie an den Rhythmen und Mustern der Sonneneinstrahlung orientieren.

Postwachstum: Eine offene Frage, die drängt

Von dieser Problematik geht die Debatte um Postwachstum aus. Sie dreht sich erstens um die Frage, wie im Globalen Norden weniger produziert und zugleich mehr Lebensqualität geschaffen werden kann – sodass in Regionen des Globalen Südens die Wirtschaft noch weiter wachsen kann, dort also, wo tatsächlich mehr Güter und Dienstleistungen notwendig sind. Zweitens beschäftigt sich die Debatte um Postwachstum mit der Frage, wie eine Wirtschaftsweise beschaffen sein muss, damit sie sich an konkreten Bedürfnissen orientiert und nicht zwangsläufig immer mehr erzeugt.

Neue Wohlstandsmodelle sind dafür ebenso erforderlich wie eine Verkürzung der Arbeitszeit und soziale Sicherheit, die nicht von Wirtschaftswachstum abhängt. Um die Produktion an konkreten Bedürfnissen auszurichten, braucht es Formen eines demokratischen Wirtschaftens, das Solidarität verwirklicht und ökologische Belastungsgrenzen respektiert.2 Wie das gelingen kann, ist Thema des internationalen Kongresses „Degrowth Vienna 2020“, der von 29. Mai bis 1. Juni in Wien stattfindet und Strategien für Postwachstum diskutieren wird.

Mehr Infos: www.degrowthvienna2020.org

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Workshop Solidarische Ökonomie, Wirtschaftsdemokratie und Postwachstum

Der Verein für Solidarische Ökonomie organisiert zusammen mit dem Regional Center of Expertise Graz-Styria (Universität Graz) und der Katholischen Sozialakademie Österreichs einen Workshop zu Solidarischer Ökonomie, Wirtschaftsdemokratie und Postwachstum bei der Degrowth-Konferenz in Wien.

Datum: 31. Juni, 10.00-11.30 Uhr

Der Workshop fokussiert auf den Beitrag Solidarischer Ökonomien zu einer Postwachstums-Perspektive. Angeregt werden Strategien für Solidarische Ökonomie als wirtschaftsdemokratischer Ansatz. Der Workshop will einen Raum schaffen um unterschiedliche Akteur_innen zu verknüpfen und einen Denkprozess anzustoßen: Was sind Elemente einer Theorie des Wandels hin zu einer Solidarischen Ökonomie des Postwachstums? Wie können wir Kräfte verbinden? Was müssen wir neu entwickeln?

Workshop Solidarity Economy, Economic Democracy, Degrowth

The Intercontinental Network for the Promotion of Social Solidarity Economy RIPESS, the Association of Solidarity Economy, and the Regional Center of Expertise Graz-Styria (University of Graz), and the Catholic Social Academy of Austria are organizing a workshop on solidarity economy, economic democracy and degrowth at the degrowth conference in Vienna

Date: June 1st, 11.45-13.15

The workshop focuses on the contribution of solidarity economy (SSE) to a degrowth perspective. What are strategies for solidarity economy as an approach to economic democracy and how can linkages between various actors be strenghtened? The workshop aims at fostering a process of strategic reflection taking into account practical international experiences from SSE as well as COVID-19 related challenges, and asks: What are elements of a theory of change towards a degrowth solidarity economy?

Fußnoten

1 Siehe z.B. https://eeb.org/library/decoupling-debunked/

2 Siehe „Degrowth in Bewegung(en)“ (2017, oekom; Gratis-Download unter www.degrowth.info/de/); „Postwachstumspolitiken“(hg. von F. Adler und U. Schachtschneider, 2017, oekom).

Ergänzender Bildnachweis: Beitragsbild Degrowthfotos via Wikimedia, CC BY 2.0