Demokratie ohne Dialog? Zum Relaunch der Katholischen Sozialakademie

Wir rebloggen hier einen Artikel der ehemaligen Schasching-Fellows Andreas Exner, Christina Plank und Sebastian Thieme zum geplanten “Relaunch” der Katholischen Sozialakademie (KSÖ) durch die Bischofskonferenz, er zuerst auf feinschwarz.net am 23. Juli erschienen ist.

von Andreas Exner, Christina Plank, Sebastian Thieme

Nicht gut ist es um die Demokratie bestellt. Regierungen in aller Welt beschließen Gesetze, indem sie das Parlament umgehen oder es faktisch außer Kraft setzen. Viele Regierungen entziehen sich immer mehr einem gesellschaftlichen Dialog. Dies gilt allerdings auch für manche zivilgesellschaftliche Institutionen.

Die Demokratisierung der Wissenschaft und der Kirche

Die Entdemokratisierung ist eine ernste Gefahr und verhindert tragfähige Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen. Die Wissenschaften der Nachhaltigkeit und der sozial-ökologischen Transformation, aber auch andere anwendungsorientierte Wissenschaften haben das längst erkannt. In der sozialwissenschaftlichen Forschung ebenso wie in vielen naturwissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit ökologischen Problemen befassen, gehört die inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit zur guten wissenschaftlichen Praxis. In dieser Perspektive suchen die Wissenschaften über die Grenzen der Universität hinaus den Kontakt hin zur Gesellschaft, zu den „Menschen auf der Straße“, zu den organisierten Interessensgruppen, den Kirchen und Medien sowie den staatlichen Körperschaften.

Die Einsicht, dass die Lösung gesellschaftlicher Problemlagen vom inter- und transdisziplinären Dialog abhängt, hat sich auch in der Katholischen Kirche vor sehr langer Zeit schon abgezeichnet. Das II. Vatikanische Konzil ist Zeugnis davon. Daran schlossen verschiedene Päpste an: so etwa Paul VI. in „Octogesima adveniens” oder jüngst Franziskus mit „Laudato Si‘“.

Die Katholische Sozialakademie: Inter- und Transdisziplinarität in der Praxis der Kirche

Wie lässt sich vor diesem Hintergrund der am 3. Juli verlautbarte Beschluss der Österreichischen Bischofskonferenz werten, wonach diese einen „inhaltlichen und strukturellen Relaunch“ der Katholischen Sozialakademie Österreichs plant? Denn die Katholische Sozialakademie ist eine Einrichtung, die wie kaum eine andere in Österreich den inter- und transdisziplinären Auftrag der Katholischen Soziallehre, den Aufruf zum gesellschaftlichen Dialog und zur kritischen Reflexion ernst nimmt. In unzähligen Seminaren, Lehrgängen, Workshops und Veranstaltungen, in Schriften und Stellungnahmen sowie in verschiedenen neuen Medien formuliert sie seit 60 Jahren den Auftrag der Soziallehre mit und erfüllt ihn mit Leben. Sie arbeitet an der Humanisierung des Menschen. Das wusste übrigens auch der für die Sozialakademie zuständige Bischof Werner Freistetter zum 60jährigen Jubiläum der Katholischen Sozialakademie zu würdigen: „Auf verschiedene Weise und mit innovativen Mitteln bringt die ksoe den Menschen die Soziallehre der Kirche, die ein integraler Bestandteil der christlichen Verkündigung ist, nahe.“ Dabei lobte er besonders auch den Mut, sich nicht davor zu scheuen, „kritische Anfragen an die bestehende Sozial- und Wirtschaftsordnung zu stellen.“

Das Lob von Bischof Freistetter kommt nicht von ungefähr. Nicht nur der Nestor der Katholischen Soziallehre im deutschen Sprachraum, Pater Oswald von Nell-Breuning, arbeitete mit der Katholischen Sozialakademie zusammen, auch Pater Johannes Schasching wirkte in dieser geschichtsträchtigen Institution. Während Nell-Breuning, wie erst Jahrzehnte später bekannt geworden ist, die maßgebliche Enzyklika „Quadragesima anno“ in wesentlichen Teilen verfasst hatte, prägte Pater Johannes Schasching mehrere Enzykliken von Papst Johannes Paul II. An dieses Wirken schloss sich beispielsweise die kürzlich verstorbene Lieselotte Wohlgenannt an, die gemeinsam mit dem damaligen Leiter der Katholischen Sozialakademie Herwig Büchele SJ die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens mit entwickelt hat – eine Idee, die schon die Schlüsselfigur der christlichen Sozialphilosophie, Jacques Maritain, als Mindeststandard einer guten Gesellschaftsordnung begriff. Der interdisziplinäre Charakter der Katholischen Sozialakademie wurde nicht nur in der Ausarbeitung des Ökumenischen Sozialworts lebendig, die Pater Schasching geleitet hatte, sondern in besonderem Maße auch in ihrer personellen Zusammensetzung: Priester, Ordensschwestern und Laien sowie Expertinnen und Experten der Politikwissenschaft, Theologie, Ökonomik, Entwicklungshilfe und Kommunikationswissenschaften sowie Menschen aus der Praxis.

In Projekten wie dem Ökumenischen Sozialwort und in dem vielfältigen Bildungs- und Beratungsangebot der Katholischen Sozialakademie zeigt sich das zutiefst transdisziplinäre Wesen der Katholischen Sozialakademie. Weit mehr als bloß auf die akademische Forschung beschränkt entwickelt die Katholische Sozialakademie Inhalte zusammen mit Laien und nicht-konfessionellen Menschen, mit Praktikerinnen und Praktikern aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen. Das ist kein Predigen von der Kanzel herab, sondern ein gelebtes Evangelium, das die Zeichen der Zeit zu deuten hilft, im Verein mit den Vielen, die die gesellschaftliche Wirklichkeit ausmachen. Demokratie als umfassender Dialog.

Zurück zur Monodisziplinarität im Elfenbeinturm?

Zu einem wichtigen Baustein im Wirken der Katholischen Sozialakademie wurde in den letzten Jahren ein im Gedenken an Pater Schasching eingerichtetes Fellowship, für das die Katholische Sozialakademie die notwendigen finanziellen (Dritt-) Mittel übrigens selbst organisierte. Ihm haben wir einen intensiven Forschungsaufenthalt an der Katholischen Sozialakademie zu verdanken. Wir kommen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen: Andreas Exner aus der Ökologie, Christina Plank aus der Osteuropaforschung, und Sebastian Thieme aus der Ökonomik. Exner und Plank teilen zudem einen politikwissenschaftlichen Hintergrund. In unterschiedlichem Maß sind wir selbst in der inter- und transdisziplinären Forschung verankert. Die Katholische Sozialakademie haben wir als eine Institution kennengelernt, die sich nicht im akademischen Elfenbeinturm verschanzt. Sie ist keine „Marke“, wie die Österreichische Bischofskonferenz die Katholische Sozialakademie sich vorstellen will, sondern lebendiger Teil einer am Dasein der Welt ehrlich interessierten Kirche, die die Soziallehre mitgestaltet und lebt. In Zeiten vielfältiger, wachsender Herausforderungen und einer bereits angegriffenen Demokratie, der autoritäre Tendenzen und wirtschaftliche Krisendynamiken weiter zuzusetzen drohen, braucht es die Katholischen Sozialakademie als demokratische Impulsgeberin mehr denn je.

Das Vorgehen und die Kommunikation der Österreichischen Bischofskonferenz ist angesichts dieser Situation zumindest befremdlich. So möchte die Bischofskonferenz die Katholische Sozialakademie umbauen zu einem „Kompetenzzentrum“ für die Katholische Soziallehre, „das die kirchliche Expertise in diesem Bereich zeitgemäß bündelt, vertieft und in einem ökumenisch offenen Dialog mit den staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen umsetzt“. Doch noch zur Jubiläumsfeier 2019 wurde die Katholische Sozialakademie für genau dieses Engagement gelobt. Wozu muss sie dann umgebaut werden? Das gilt im Übrigen auch dafür, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Katholischen Sozialakademie zur Disposition gestellt sind. Noch Anfang 2019 hatte die Bischofskonferenz Dr.in Maria Magdalena Holztrattner für weitere drei Jahre als Direktorin der Katholischen Sozialakademie bestätigt. Was ist innerhalb dieses Jahres also passiert, was jetzt nicht nur einen Umbau sondern auch eine personelle Erneuerung rechtfertigt?

Insofern verwundert es, wie schnell der Plan einer Umstrukturierung im Raum steht, der auf das erfahrene Personal der Katholischen Sozialakademie verzichten möchte und eine inhaltliche Weiterentwicklung anvisiert, die die Katholische Sozialakademie doch schon seit ihrem Bestehen betreibt. Freilich könnte auch die Katholische Sozialakademie eine noch weitergehende inter- und transdisziplinäre Bildungs- und Forschungsarbeit leisten. Doch stehen dem in der derzeitigen Situation vor allem jene finanziellen Restriktionen im Weg, die die Österreichische Bischofskonferenz selbst zu verantworten hat. Es sei deshalb daran erinnert, dass nicht die Bischofskonferenz, sondern die Katholische Sozialakademie unsere Schasching-Fellowships durch selbst akquirierte Drittmittel finanzierte und sie generell den weitaus überwiegenden Teil ihres Budgets selbst erwirtschaftet. Ist es im Kontext der unzureichenden Grundfinanzierung wirklich verwunderlich, dass die Corona-Krise auch die Katholische Sozialakademie vor Schwierigkeiten stellt? Und rechtfertigt diese Situation tatsächlich einen „Finanzverwalter“? Was wäre möglich, wenn die Finanzmittel einer zusätzlichen „Finanzverwaltung“ der Katholischen Sozialakademie zur Selbsthilfe zur Verfügung stünden?

Nein, der Forderung nach einer inhaltlichen Neuausrichtung, wie die Österreichische Bischofskonferenz behauptet, fehlt die argumentative Substanz. Dagegen wäre eine finanzielle Aufstockung notwendig, damit die Katholische Sozialakademie dem Auftrag der Soziallehre vollgültig und eigenständig nachkommen kann.

Dem gegenüber droht das Handeln der Österreichischen Bischofskonferenz, den Tendenzen der Entdemokratisierung weiteren Vorschub zu leisten. Eine wichtige Stimme für Demokratie, Toleranz und des gesellschaftlichen Dialogs würde mit dem „Relaunch“ der Katholischen Sozialakademie zum Verstummen gebracht. Und nicht nur das. Wie soll ein „Relaunch“ überhaupt den Ansprüchen an die Katholische Soziallehre gerecht werden, wenn dazu noch nicht einmal ein echter Dialog aufgesucht wird, sondern die Betroffenen vor vollendete Tatsachen gestellt werden? Dies alles scheint uns höchst bedenklich.

Mit Nachdruck möchten wir Schasching-Fellows daher die Österreichische Bischofskonferenz dazu aufrufen und ermutigen, von ihrem ursprünglichen Vorhaben Abstand zu nehmen und in Anerkennung der Zeichen der Zeit die Katholische Sozialakademie mit finanziellen Mitteln auszustatten, die es ihr auch in Krisenzeiten erlauben, den Auftrag der Soziallehre zu erfüllen.