von Anke Strüver, Andreas Exner und Andrea Jany (RCE Graz-Styria – Zentrum für nachhaltige Gesellschaftstransformation). Reblog des gleichnamigen Beitrags in der Zeitschrift LAMA, No. 95 (als pdf hier).
Eine Stadt, ist eine Stadt, ist eine Stadt. Aber was ist eine smarte Stadt, eine Smart City? Das Wort smart kommt ursprünglich aus dem Englischen und steht für „schlau“, „clever“, „gewandt“ und „gewitzt“. Neben dem Gebrauch als Eigenschaftswort findet sich im Englischen auch das Verb to smart. Es bedeutet „schmerzen“, aber auch „scharf“, „beißend“, „schneidend“. Beide Bedeutungen treffen sich derzeit in der Smart City.
Seit einigen Jahren werden wir immer häufiger mit der Smart City konfrontiert. Sie geistert durch Politik und Medien – und sie begeistert Politik und viele Medien. Sie verspricht eine nachhaltige urbane Zukunft und mehr Lebensqualität. Smart City ist ein Begriff, aber auch ein Stadtkonzept. Sie steht für die Digitalisierung urbaner Infrastrukturen. Dabei geht es vor allem um Mobilität, Energie und den öffentlichen Raum, aber auch um Dienstleistungen und Verwaltungsprozesse. Sensoren und Software sollen die Energieversorgung, die Abfallentsorgung oder die Verkehrsüberwachung und -steuerung „smarter“ machen. Smart City heißt oft auch nichts anderes als das: Vernetzung aller internetfähigen Geräte untereinander.
Eine schlaue Stadt kann eine digitale Stadt sein. Digitale Technologien sind dabei allerdings der Weg zum Ziel und das Mittel zum Zweck. Sie sind kein Selbstzweck. Bislang rechtfertigt der Zweck, eine Stadt „schlau“ zu machen, nie die finanziellen Mittel, sie vollständig zu digitalisieren. Denn diese Mittel fehlen an anderen Stellen, z.B. beim öffentlichen Wohnbau, für den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, für mehr Sozialleistungen und besseren Grünraum. In vielen Fällen bleibt zudem das Ziel der Smart City äußerst vage. Meist wird es mit „Effizienzsteigerung“ verbunden. Doch bleibt häufig unklar, inwiefern „Effizienz“ dabei hilft, die Lebensqualität zu erhöhen.
Das Leitbild der digitalen Stadt in Form der Smart City gibt es seit Anfang der 2000er Jahre. Städte sehen sich mittlerweile weltweit in Konkurrenz zueinander – um Bewohner*innen, um Lebensqualität und natürlich um Innovationen wie digitale Infrastrukturen. Viele versuchen sich daher als Smart City zu vermarkten – auch wenn unklar ist, was das genau bedeutet. Ist es smart, Daten digital zu sammeln und mittels Software die Stadt effizienter, sauberer und sicherer zu machen? Das müsste man erst einmal näher diskutieren. Doch öffentliche Debatten zu Smart City gibt es kaum. Graz soll seit 2010 immer „smarter“ werden. Diese Entwicklung begann mit dem Forschungsprojekt „I live Graz – smart people create their smart city“. Der erste Meilenstein markiert das Jahr 2020. Das Ziel: fünf Smart City Quartiere in der Stadt. Gegenwärtig wird am ersten Smart City Quartier im Bereich der Waagner-Biro-Straße unter dem Titel My Smart City Graz gebaut. Auf einer Fläche von 8,2 Hektar entstehen auf einem ehemaligen Industriegebiet nördlich des Hauptbahnhofs Wohn-, Büro- und Geschäftsflächen. Nachhaltige Technologien, flexible Mobilitätslösungen und die Versorgung mit erneuerbaren Energien sollen umgesetzt, die Nachbarschaft gefördert werden. Für rund 3.000 Bewohner*innen entstehen 920 Wohneinheiten in drei Bauabschnitten. Hinzu kommen 50 Einheiten für Büro- und Gewerbeflächen. Die Straßenbahn wird in das Gebiet verlängert. 700 Stellplätze für Fahrräder und 10 für Elektrofahrzeuge werden errichtet. Die Idee zur Förderung der Nachbarschaft soll durch ein Quartiersbüro realisiert werden. Die Liegenschaft befindet sich nicht in städtischer Hand. Die Entwicklung ist daher von privaten Investoren geprägt. Zur übergeordneten Koordination und Abstimmung haben sich diese zu einem Verein zusammengeschlossen. Weitere Smart City Gebiete sollen folgen und langfristig die gesamte Stadt Graz „smart“ werden lassen.
Bei einem Spaziergang durch Graz ist derzeit nicht viel „Smartes“ zu sehen. Sehen kann man dafür die „smart shity“ Graffitis, die über die ganze Stadt verteilt sind. Sie regen zum Denken an: Worauf zielt die Kritik derjenigen, die diese Graffitis sprayen? Was läuft in Graz und in anderen Smart Cities schief? Offenbar sind nicht alle davon überzeugt, dass „smart“ auch automatisch „gut“ heißt. Und tatsächlich gibt es zunehmend kritische Stimmen. Sie weisen darauf hin: Smart City ist oft nur ein Vehikel für die Verkaufsstrategien von Technologie- und Beratungsfirmen; es fehlt eine öffentliche Diskussion zur Frage, ob eine Stadt „smart“ sein soll und was das heißt; in vielen Fällen wird die Smart City zu einem weiteren Weg, öffentliche Haushalte und Infrastrukturen zu kürzen; und Menschen noch stärker zu überwachen als es bereits geschieht.
Vielleicht sollten wir uns darauf einigen, dass wir unter „smart“ einfach „schlau“ verstehen. Schlaue Lösungen zu finden ist weniger kontrovers. Wie könnte eine solche schlaue Stadt aussehen? Wir plädieren dafür, „smart“ nicht mit „digital“ gleichzusetzen. Es ist nicht immer schlau, digitale Technologien einzusetzen – und es ist umgekehrt nicht schlau, darauf unbedingt zu verzichten. In einer schlauen Stadt geht es nicht um digitale Technologien als Selbstzweck. Es geht vielmehr darum, soziale Gerechtigkeit, Ökologie und Lebensqualität mit wenig Aufwand zu erreichen und dauerhaft zu sichern. Alles was dabei hilft, ist gut und schlau.
Wie die Dinge in einer von Wirtschaftswachstum getriebenen Gesellschaft liegen, wird sich die Digitalisierungsdynamik nicht einfach umkehren und auch nicht in Luft auflösen. Das Luftschloss der Smart City aber vielleicht schon: Wenn wir erkennen, dass wir nicht unbedingt mehr Technik, aber sicherlich mehr Mut und Kooperation in der Stadt benötigen. So hat die Corona-Krise die essentiellen Elemente einer Stadt im Frühjahr 2020 freigelegt, dazu gehören: Solidarität, Kooperation, öffentlicher Freiraum und leistbarer Wohnraum für alle, sowie genug Grün in der Stadt. Diese Elemente miteinander zu verbinden, Synergien zu schaffen und Stadtentwicklung zu demokratisieren, indem wirklich alle gleichermaßen mitreden können – das wäre schlau.
„Schlau“ ist das neue „smart“! Wie wäre es, wenn Graz zur Vorreiterin dabei wird?
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Die Projekte City of Collaboration und SMASH (Smart Sharing) versuchen wissenschaftlich geleitet auf zwei Ebenen einer schlauen Smart City näher zu kommen. Zum einen werden solidarische Ökonomien und Initiativen portraitiert, um den Smart City Diskurs im Sinne einer schlauen Konzeption zu erweitern. Zum anderen wird genau dies in der My Smart City Graz in der Waagner-Biro-Straße versucht punktuell zu implementieren und auch wissenschaftlich zu begleiten. Für 2023 werden die ersten Ergebnisse erwartet.