Gastbeitrag von Ulrich Ahamer – dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Raiffeisenzeitung am 17.09.2020
Das „Graz Kulturjahr 2020“ stellt sich die Frage „Wie wir leben wollen“, stößt dabei das Tor zur Wirtschaftswelt auf und findet großen Gefallen an Gemeinwohl und Genossenschaften.
Rege Betriebsamkeit Mitte September vormittags bei Prachtwetter am Bahnhofsplatz in Graz. Ausstellungsplakate erzählen von einer besonderen Wirtschaftsform und demokratischer Mitbestimmung. Rollups fallen auf, beispielsweise vom Raiffeisenverband Steiermark, dem Österreichischen Genossenschaftsverband (ÖGV) oder Rückenwind – Förderungs- und Revisionsverband gemeinwohlorientierter Genossenschaften. Was ist da los?
Im Rahmen des „Graz Kulturjahr 2020“ fand der Aktionstag „Genossenschaften für Alle!“ statt. Zu sehen war eine unglaubliche Breite an Betrieben, die sich bewusst für die Unternehmensform der Genossenschaft entschieden haben. Vertreten waren die „Weizer Schafbauern“, die „Cooperative für Künstler*innen, Kreative und Neue Selbstständige (SMART)“, der „Bioladen Matzer“, die „Dorfgenossenschaft Um’s Egg“, das „Taxi 2801“, die „Erste Steirische IT-Genossenschaft ESIT“, die Wohnprojekte-Genossenschaft „WoGen“ und die Hersteller von Software für Selbstbedienungskassen „GEAsoft“.
„Genossenschaften sind wieder chic geworden, gerade im urbanen Bereich“, sagt Andreas Exner vom RCE Graz-Styria (Zentrum für nachhaltige Gesellschaftstransformation an der Universität Graz) und einer der Mitinitiatoren des Aktionstages. Er spricht von einem „breit gestreuten und vielfältigen gesellschaftlichen Lernprozess, der seit einigen Jahren eingesetzt hat.“
Die Demokratie ist Exner zufolge die Kernidee und das bestimmende Wesensmerkmal einer Genossenschaft. „Einen Wandel sehe ich in der Repolitisierung der Genossenschaftsidee. Vor 200 Jahren gab es verschiedenste wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen. So wie damals schließen sich auch heute Menschen zusammen, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen. Neu ist aber der Wunsch nach einem moralischen Wertewandel hin zu mehr Gemeinwohl in der Gesellschaft. Genossenschaften sind mehr als eine bloße Wirtschaftsorganisation. Sie sind eine kulturelle Innovation.“
Vielfältige Erfolgsgeschichten…
Sabine Kock ist Geschäftsführerin der Genossenschaft „Smart Austria“. Sie engagiert sich für Neue Selbstständige, Kreative, Mitarbeiter im Kulturbereich sowie für Künstlerinnen und Künstler. Sie legt, wie so viele andere Mitaussteller, sehr großen Wert auf den demokratischen Entscheidungsprozess innerhalb der Genossenschaft. „Wir sind eine sichtbare Stimme einer sonst vereinzelt auftretenden Klientel. Smart Austria bietet eine solidarökonomische, nicht profitorientierte Hilfe und Unterstützung für die Mitglieder. Die Cooperative vergemeinschaftet Ressourcen und Risiken und schafft nachhaltige Arbeitsverhältnisse.“
Vom IT-Einzelkämpfer hin zur Genossenschaft. Gerald Harrer ist neben Thomas Rauch Mitbegründer der heuer im Frühjahr präsentierten „Ersten Steirischen IT-Genossenschaft ESIT“. Ziel war „Flexibilität und Fairness für Mitarbeiter und Kunden“ im IT-Geschäft, in dem sehr oft Erreichbarkeit rund um die Uhr erwartet wird. Harrer schätzt an einer Genossenschaft, dass neue Mitglieder einfach aufgenommen werden können.
Wenn das Lebensmittelgeschäft zusperrt, kann man nichts machen… – oder Konsumenten wie Bauern werden aktiv, so geschehen in Losenstein, im oberösterreichischen Ennstal. Jetzt gibt es in der Dorfgenossenschaft „Um’s Egg“ mit rund 120 Mitgliedern fast alles für den täglichen Bedarf zu kaufen. Kunden sowie die rund 70 Lieferanten der regionalen und oft biologischen Produkte bilden die Genossenschaft. Geschäftsführer Bernd Fischer: „Wir sind anders! Wir haben viele Mitglieder, die ehrenamtlich helfen und das fällt auf und spricht sich herum. Wir legen Wert auf Plastikvermeidung und haben sehr viel offene Ware oder in Glas verpackt und in Pfandsystemen.“
Vor über 40 Jahren wurde das Grazer Unternehmen „Taxi 2801“ als Genossenschaft gegründet. Für Obmann Fardin Tabrizi gibt es ein zentrales Argument, das für die Genossenschaft und gegen eine GmbH spricht: „Weil es unserer Meinung nach demokratischer ist. Die Großen können nicht über die Köpfe der Kleinen hinweg entscheiden.“ Die Funkzentrale bei 2801 gehört den Genossenschaftsmitgliedern, und diese arbeitet nicht gewinnorientiert“, so Tabrizi. „Gegenüber dem Mitbewerb zahlen unserer Fahrer gut zehn Prozent weniger pro Monat für die Funklizenz.“
Karina Neuhold ist Obfrau der Weizer Schafbauern. 321 Mitgliedsbetriebe liefern jährlich rund 650.000 Liter Schafmilch, verarbeitet wird diese zu über 30 verschiedenen Käsesorten. Darüber hinaus werden für Konsumenten und Gastronomie etwa 7.000 Lämmer verarbeitet. Die Gründung der Genossenschaft entstand aus einer Notsituation heraus, da die ehemalige Molkerei zusperrte und den Bauern die Schafmilch nicht mehr abnahm. Die Überlegung lautete damals: „Dann kaufen wir eben die Molkerei und machen es selbst. Gerade jetzt merken wir auch die Wertschätzung für die regionalen Lebensmittel.“
GEAsoft stellt beispielsweise Software für Selbstbedienungskassen her. Obwohl das Unternehmen klassische Businessprodukte anbietet, ist Vorstand Helmut Lindner überzeugt, dass auch Endkunden angesprochen werden können. „Wenn man lokale Genossenschaften gründet und unterstützt, dann hat das direkte Auswirkungen auf das eigene Umfeld. Dann gibt es etwa Solarstrom, Wärme oder die Versorgung mit guten, regionalen Lebensmitteln. Das verändert die Umgebung und macht sie lebenswerter.“
Zum Schulbeginn passend wurde im Rahmen des Aktionstages auch das Thema Schülergenossenschaft diskutiert. Ab dem heurigen Schuljahr 2020/21 wird die Genossenschaftsidee mit vier Pilotprojekten in heimischen Schulen Einzug halten. Bei den Vorbereitungen ist der Österreichische Raiffeisenverbandes eng eingebunden. Ab den höheren Jahrgängen der Höheren Bundeslehranstalten geht es los. Die Schülerinnen und Schüler werden dabei in einem geschützten Rahmen unternehmerisch aktiv. Schwerpunkte dabei sind Zusammenarbeit mit möglichst vielen Stakeholdern sowie demokratische Mitbestimmung. „In weiterer Folge ist auch eine Ausweitung auf weitere Schulen in Graz im Rahmen von City of Collaboration ein Ziel“, so Armin Friedmann vom Raiffeisenverband Steiermark, der lokal das Pilotprojekt Forstschule in Bruck an der Mur betreuen wird.
© Ulrich Ahamer, wortfabrik.at