Den zweiten unserer Genossenschaftstalk durften wir mit Herrn Karl Staudinger vom Revisionsverband Rückenwind am 31. Mai 2021 führen.
Der Verein Rückenwind befindet sich im Wienerwald, in Pressbaum und galt, bis vor kurzem, als jüngster Genossenschaftsverband Österreichs. Die Verbandsgründung ist eine sehr spannende Geschichte und entstand quasi aus der Krise heraus. Nach der Finanzkrise 2008 wollten die Gründer*innen des Verbandes etwas dazu beitragen, eine neue Wirtschaft, welche unter anderen Gesichtspunkten gesehen werden kann, zu organisieren. Sie sahen, dass eine gewisse Gruppe von Menschen im Zuge der Wirtschaftskrise dazu fähig ist, die Weltwirtschaft quasi in den Abgrund zu treiben, worauf sie sich selbst stärker wirtschaftlich beteiligen wollten, um dem entgegenwirken zu können.
Der zweite ausschlaggebende Punkt für die Neugründung eines Revisionsverbands war ein Konflikt der GEA/Waldviertler Firma mit der Finanzmarktaufsicht. Aus diesen beiden Gegebenheiten und der gesamtgesellschaftlichen Lage sahen sie nur eine Konsequenz – die Gründung eines Revisionsverbands um eigene unternehmerische Perspektiven mit der Form der Genossenschaft zu verbinden.
2014 fand die Vereinsgründung statt, welche von Beginn an den Zweck der Anerkennung als Revisionsverband in weiterer Folge inne hatte. Während des GEA-Pfingstsymposiums 2015, welche unter dem Titel „Gemeinsinnig wirtschaften“ mit rund 250 Teilnehmer*innen stattfanden, kam ein immer größeres Bedürfnis auf, einen eigenen Verband ins Leben zu rufen. Beim Maimanifest sprachen sich demnach alle für eine gemeinwohlorientierte Genossenschaftsbewegung aus und somit war der Start gesetzt. Durch das führen zahlreicher Gespräche wurde ebenso klar, dass die Notwendigkeit eines solchen neuen Verbandes insofern gegeben war, da es in ihren Augen eine bestimmte Gruppe von Menschen gibt, welche durch bestehende Verbände nicht angesprochen werden. All jenen ist vor allem die Gemeinwohlorientierung sehr wichtig. In einem längeren Anerkennungsverfahren, welches 2015 mit dem Stellen des Antrags begann, mussten einige Hürden genommen werden, unter anderem das Finden eines*r geeigneten Wirtschaftsprüfer*in, der*die die Aufgabe der Revision des Verbandes übernehmen sollte. Es war dem Verein besonders wichtig und wurde auch schon in den Statuten festgelegt, dass die Unabhängigkeit der Revision bewahrt würde, indem diese nicht von einem Mitglied des Verbandes, sondern durch jemand Außenstehenden durchgeführt wird. Nach dem Meistern dieser und weiterer Hürden, gelang im Dezember 2016 die Anerkennung des Vereins als Revisionsverband.
Karl Staudinger sieht in der aktuellen Situation viel Bewegung im Bereich der Genossenschaften sowie ein vermehrtes Interesse in der Gesellschaft. Dadurch lässt sich auch eine weitere Neugründung eines Revisionsverbands heuer festmachen.
Im Laufe ihrer Wirkungszeit stellte sich heraus, dass sich die Hypothesen der Gründer*innen des Rückenwindverbands bewahrheiteten. Es hat sich herausgestellt, dass es eine bestimmte Gruppe von Menschen gibt, welche mit unternehmerischen Aktivitäten einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten wollen. Ebenso konnten sie sehen, dass die Genossenschaft oftmals für all jene genau die richtige Rechtsform ist. Dies lässt sich aufgrund der historischen Enstehungsverhältnisse dieser Rechtsform erklären. Da die Genossenschaft in einer Notsituation geboren wurde, ist sie geprägt von Zusammenhalt, dem Zusammenstehen sowie der Kooperation und damit auch dafür gemacht, Notsituationen zu überstehen. Andererseits lässt sich dies auch durch ihre rechtlichen Besonderheiten gut erklären.
Diese rechtlichen Merkmale sind folgende:
- Eine Genossenschaft ist eine Personenvereinigung, die im Wesentlichen der Förderung des Erwerbs und der Wirtschaft ihrer Mitglieder dient.
- Eine Genossenschaft muss in einem Revisionsverband Mitglied sein oder um die Mitgliedschaft angesucht haben (bei Ablehnung ist eine verbandsfreie Eintragung möglich).
- Der Revisionsverband muss Revisor*innen bereitstellen.
- In der Regel ist eine einfache Aufnahme von Mitgliedern möglich, und man kann die Mitgliedschaft auch kündigen und den Geschäftsanteil zum Nominalwert zurück erhalten – dadurch ist die Genossenschaft immun gegen Spekulationen.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass die Genossenschaft ihr Zweckgeschäft auch auf Nicht-Mitglieder ausweiten kann und dass Genossenschaften investierende Mitglieder aufnehmen können, welche lediglich durch die Zeichnung von Geschäftsanteilen zur Genossenschaft beitragen. Dies könnte beispielsweise in der Startphase einer Genossenschaft spannend sein. Man könnte beispielsweise für den Start 100 Geschäftsanteile zeichnen, welche man später, wenn das Geschäft läuft, kündigen könnte, um sich damit das investierte Geld zurückzuholen.
Die Haftung der Mitglieder sowie die Nachschusspflicht (bei Konkursfall) sind folgendermaßen geregelt: Ein Mitglied haftet mit seinem*ihrem Geschäftsanteil und einem weiteren Betrag in der Höhe desselben. Es kann jedoch angeblich bald möglich sein, die Nachschusspflicht in Zukunft in den eigenen Statuten auszuschließen.
Das demokratische Stimmrecht in der Generalversammlung ist außerdem ein besonderes Merkmal der Genossenschaften. Jedes Mitglied hat dasselbe Stimmrecht in der Generalversammlung. Es handelt sich also, wenn nichts weiter festgelegt wird, automatisch um ein Kopfstimmrecht. Es gibt jedoch auch noch weitere mögliche Modelle des Stimmrechts (Anteilsstimmrecht, Limitiertes Anteilsstimmrecht, Kurienstimmrecht mit Gewichtung der Kurienergebnisse).
Der Revisionsverband Rückenwind umfasst zahlreiche Genossenschaften im Sektor Lebensmittel aber auch in der Gastronomie, Erneuerbare Energie und weiteren Bereichen.
Eine sehr spannende Genossenschaft im Verband ist USUS. Eine Mischung aus Menschen im kreativen und auch handwerklichen Bereich sowie welche mit unternehmerischen und betriebswirtschaftlichen Erfahrungen gründeten eine Genossenschaft, die nun im Bereich Gastronomie und Kulturmanagement tätig ist. Sie betreiben das USUS am Wasser am Neuen Donaukanal in Wien sowie die Gastronomie im Wiener Schauspielhaus.
Auch die Dorfgenossenschaft UMS EGG ist ein sehr gelungenes Beispiel, welche aufzeigt, was in Form einer Genossenschaft erreicht werden kann. In Losenstein in Oberösterreich musste der Nahversorger im Ortszentrum zusperren, nachdem die Gemeinde für einen Billa am Ortsrand Gründe umwidmete und dieser Supermarkt eröffnete. Eine Gruppe von engagierten Menschen entwickelte gemeinsam ein Projekt einer Genossenschaften und gründete 2018 diese, welche 2019 ihr Geschäft eröffnete. „Für solche Leute braucht es unseren Verband“, so Karl Staudinger. Die Mitglieder der Genossenschaft können auch außerhalb der Öffnungszeiten einkaufen und am Monatsende mittels Bankeinzug die Rechnung bezahlen. Dies funktioniert vor allem deshalb so gut, da Bernd Fischer, der frühere Geschäftsführer jetzt auch Geschäftsführer der Genossenschaft ist. Gemeinsam wird der Laden weiterhin nachhaltig betreiben, und die Genossenschaft umfasst 130 Mitglieder. Ein weiterer Bonus dieser Form ist außerdem, dass nun auch Menschen, die sich früher nicht viel Gedanken um Wirtschaft gemacht haben, nun anhand der Mitgliedschaft der Genossenschaft, ein Wissen darüber erlangen, was es braucht, damit so etwas funktioniert.
Der Revisionsverband umfasst zahlreiche weitere sehr spannende Genossenschaften wie beispielsweise den FreuRaum Eisenstadt, die Ourpower SCE, den Glasfaserverbund Region Braunau, das Biosphäre Wechselland, sowie das lab 10 collective, Braugenossenschaft Nöhagen, das Milchkandl, das Feld:schafft und die AEE – Arbeitsgemeinschaft für Erneuerbare Energie.
Alles in allem blickt Herr Staudinger zuversichtlich in die Zukunft der Genossenschaften sowie in die des eigenen Revisionsverbandes. Trotz einiger Niederschläge durch die Corona-Krise, vor allem in den Bereichen der Gastronomiegenossenschaften, gibt es auch „Gewinner*innen“, welche durch die Umstände der Pandemie große Erfolge verzeichnen. Diese befinden sich vor allem im (regionalen) Lebensmittelhandel und konnten durch die Bewusstseinsveränderung gegenüber regionaler, nachhaltiger Lebensmittel, die doch bei einigen Menschen während der Pandemie stattgefunden hat, sogar neue Mitglieder verzeichnen. Auch in Krisensituationen zeigt sich, dass die Genossenschaft, vor allem durch ihren Zusammenhalt, sehr positive Auswirkungen haben kann.
Karl Staudinger schließt mit den Worten „Viva la cooperación!“ – Es lebe die Zusammenarbeit!
Wir danken Karl Staudinger vom Revisionsverband Rückenwind für seine Zeit und den Impuls.
Im kommenden Artikel fassen wir den Talk mit dem Österreichischen Genossenschaftsverband (ÖGV) zusammen.
Titelbild: Photo by Shane Rounce on Unsplash