Für die dritte Runde in unserer Veranstaltungsreihe der Genossenschaftstalks sprachen wir mit Frau MMag.a Barbara Pogacar vom Österreichischem Genossenschaftsverband, dem ÖGV. Sie ist dort als Abteilungsleiterin der Abteilung Beratung, Betreuung und Koordination seit vier Jahren tätig. Demnach kümmert sie sich vor allem um die rechtliche und betriebswirtschaftliche Beratung der Genossenschaften und betreut die Gründungsberatung des ÖGV Schulze- Delitzsch. Während sie früher nur selten in Kontakt mit Genossenschaften stand, meist nur im Zusammenhang mit Wohnungsgenossenschaften, hat sich die Rechtsform mittlerweile als ideale Kooperationsform, um gemeinsam erfolgreich aufzutreten, ohne dass das Unternehmen oder die einzelnen Unternehmer*innen die Selbstständigkeit aufgeben müssen, herauskristallisiert. Mittlerweile betreut sie zahlreiche Unternehmen in unterschiedlichen Sparten und sieht die Genossenschaft als vielfältig einsetzbare Form.
Der ÖGV ist sowohl Service- als auch Revisionsverband und umfasst rund 150 gewerbliche Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften sowie die Volksbanken. Zu den Mitgliedern zählen beispielsweise die APA, die AKM, die Murauer Brauerei, Redzac sowie Sport 2000 und viele weitere. Neben den Beratungen und der Begleitung in der Gründungsphase und darüber hinaus, bieten sie auch Schulungen beispielsweise für Funktionär*innen und Mitarbeiter*innen speziell in den Themenbereichen Steuer und Bilanz.
Die Besonderheiten der Genossenschaften sind laut Frau MMag.a Pogacar, dass die Mitglieder sowohl Eigentümer also Kapitalgeber als auch Kunden und damit die Leistungsbezieher zugleich sind. Die Genossenschaft bietet eine Kooperation zur Zielerreichung in der Gemeinschaft sowie eine wirtschaftliche Förderung der Mitglieder in einem klar abgegrenzten Bereich.
Durch den Zusammenschluss mehrerer Unternehmer*innen lassen sich weiters einige Vorteile aufzeigen, welche auch in Krisenzeiten wirksam sind. Man bildet gemeinsam eine stärkere Kraft in der Verhandlung mit der Politik, hat höhere Reserven und dadurch eine höhere finanzielle Stabilität sowie Beständigkeit, kann gemeinsam eine Strategie entwickeln und sich miteinander über neue Ideen austauschen. Alles in allem, ist man mit den Herausforderungen nicht alleine und Zusammenhalt sowie Unterstützung für und durch die Mitglieder ist in dieser Rechtsform gegeben.
Zwei unterschiedliche spannende Einsatzmöglichkeiten, welche Frau MMag.a Pogacar erwähnte sind die Einkaufsgenossenschaft sowie eine Genossenschaft zur gemeinsamen Nutzung von Maschinen. Bei der Einkaufsgenossenschaft ist der Hauptgrund für den Zusammenschluss der gemeinsame Einkauf von Produktionsmitteln und Rohstoffen. Interessierte Unternehmen schließen sich als Mitglieder zusammen und legen einvernehmlich fest, welche weiteren Aufgaben getätigt werden soll. Die Genossenschaft verhandelt und schließt Verträge mit den Lieferant*innen. Dadurch kann es zu günstigeren Einkaufsbedingungen und oder Bonuszahlungen kommen. Auch ein gemeinsames Lager ist mit zahlreichen kostenseitigen Vorteilen verbunden. Die Genossenschaft kann außerdem eine Ausfallhaftung gegenüber den Lieferant*innen bieten, wodurch es zu einer höheren Bonität und besseren Zahlungskonditionen kommt. Die Mitglieder bleiben dennoch im eigenen Betrieb selbstständig, da die Genossenschaft nur die ihr übertragenen Aufgaben übernimmt. Durch die Genossenschaft kommt es also zu einer erhöhten Sicherheit für die Mitglieder, welche auch durch die zweijährige Revision gegeben ist.
Das gemeinsame Nutzen der Maschinen zeigt sich beispielsweise bei der Cargo Screening am Wiener Flughafen. Durch den Zusammenschluss von 20 kleinen und mittelständischen Spediteur*innen, wurde 2013 die Genossenschaft gegründet und seitdem übernimmt diese die Sicherheitsüberprüfung der Luftfrachtsendungen durch Röntgengeräte und Sprengstoffdetektoren. Durch den Ankauf der Geräte über die Genossenschaft wurden die Kosten für jede*n Einzelne*n geringer und niemand muss das Finanzierungsrisiko alleine tragen. Dadurch kommt es außerdem zu einer Stärkung im Konkurrenzkampf mit den großen Unternehmen. Die Gewinne werden nicht an die Mitglieder ausgeschüttet, sondern für Reparaturen, die Wartung und im Falle eines Ausfalls für den Ersatz angespart.
Weitere Einsatzmöglichkeiten für Genossenschaften sind:
- Bieter*innengemeinschaften für größere Bauvorhaben
- Lösungsmodell für die Betriebsübergabe
- Organisation von digitalen Plattformen als Alternativen zu Google, Amazon usw.
- Cloud-Services
- Genossenschaften für Regionalentwicklung und als Modell für Bürger*innenbeteiligung
Die Merkmale der Genossenschaften wurden in unseren bisherigen zwei Talks gründlich erläutert. Ein neuer, spannender Fakt bezüglich des Aufsichtsrates wurde jedoch von Frau Pogacar genannt: die Bestellung eines Aufsichtsrates ist erst ab einer Anzahl von 40 Dienstnehmer*innen Pflicht, darunter ist diese freiwillig. Sie empfiehlt dennoch auch eine freiwillige Bestellung im Ausmaß von drei Aufsichtsratsmitgliedern, da dieser die Geschäftsführung überwachen und damit das Vieraugenprinzip gewahrt werden kann.
Weitere interessante Informationen bezüglich der Neugründung einer Genossenschaft gab es bezüglich der Gründungskosten. Beim Schulze-Delitzsch-Verband gibt es keine direkten Gründungskosten – dies sind aber verbandsabhängig. Die Firmenbucheintragung ist mit ca. 500 € vergleichsweise günstig und anschließend kommen nur noch die Beglaubigungskosten für die Musterzeichnungen der Vorstandsmitglieder hinzu. Der Mitgliedsbeitrag ist jährlich mindestens in der Höhe von 1.800 € zu bezahlen. Die Revisionskosten werden pro Aufwand abgerechnet, wenn der Jahresabschluss jedoch größtenteils in Ordnung ist, belaufen sich diese auf ca. 1.500 € pro Jahresabschluss.
Die notwendigen Unterlagen für die Gründung sind hingegen etwas vielfältiger. Man benötigt einen Businessplan für die nächsten drei Jahre, welcher anschließend plausibilisiert wird und um Verbesserungen erweitert werden kann. Außerdem benötigt man eine Projektbeschreibung, die Satzung, die Aufnahmezusicherung des Revisionsverbandes sowie den Firmenbuchantrag inklusive beglaubigter Musterzeichnung. Bei all diesen Schritten unterstützt die Gründungsbegleitung des ÖGV.
Vorteile gegenüber anderen Rechtsformen sieht Frau MMag.a Pogacar vor allem in den geringen Gründungskosten, sowie in der Erstellung des verpflichtenden Businessplans. Durch die genaue Auseinandersetzung mit dem Vorhaben, lässt sich schon im Vorhinein einschätzen, ob und wie die Unternehmung funktionieren wird. Durch die geringen Gründungskosten kann man im kleinem Rahmen starten und langsam oder schnell wachsen, ohne auch im Laufe der Zeit auf allzu hohe Kosten zu stoßen. Die einfach Aufnahme bzw. Ausscheidung der Mitglieder gibt außerdem viel Flexibilität.
Frau MMag.a Pogacar zeigt sich von der Form der Genossenschaft begeistert und ist der Ansicht, dass genau durch solche Veranstaltungen wie unsere Genossenschaftstalks, die Rechtsform in der Gesellschaft bekannter gemacht werden soll. Sie freut sich darauf, auch in Zukunft an weiteren spannenden Genossenschaftsgründungen teilhaben zu können und ist gespannt ob diese, vor allem im Bereich neuer Energiegenossenschaften, zulegen werden.
Wir danken Frau MMag.a Pogacar vom Österreichischen Genossenschaftsverband (ÖGV) für ihre Zeit und den Impuls.
Im kommenden Artikel fassen wir den letzten Talk unserer Serie mit dem COOP-Verband zusammen.
Titelbild: Photo by Scott Graham on Unsplash