Die solidarische Zusammenarbeit von Solidarischen Ökonomien ist grundlegend. Dabei geht es darum, auch zwischen einzelnen Organisationen demokratische Beziehungen aufzubauen. Beispiele zeigen, wie das gehen kann und welche Herausforderungen damit verbunden sind.
Die Welt ist voller Solidarischer Ökonomien. Demokratische Unternehmen, Haushalte und andere wirtschaftlich tätige Organisationen praktizieren sie tagtäglich. Allein drei Millionen Genossenschaften existieren schätzungsweise weltweit. Damit sind etwa 12% aller Menschen, die auf diesem Planeten leben, Mitglied in zumindest einer Genossenschaft. Rund 10% aller Beschäftigten sind dort beschäftigt.
Zahlen wie diese geben freilich nur einen groben Einblick.
Zum Beispiel beziehen sie sich auf eine bestimmte Rechtsform. Und sie sagen noch nicht viel darüber aus, wie Menschen in einem Unternehmen miteinander umgehen. Sie zeigen aber, wie wichtig Solidarische Ökonomien heute bereits sind. Sie zeigen, dass Solidarische Ökonomien mehr sind als eine Nische.
Wieviele Genossenschaften es gibt oder wieviel Solidarische Ökonomien in einer Region produzieren, sind aber noch aus einem anderen Grund nur Schlaglichter. Solche Informationen können nämlich grundsätzlich nur einen Teilaspekt Solidarischer Ökonomie erfassen. Das ist der Aspekt der Nano-Ebene, die Ebene der demokratischen Organisation als solcher.
Solidarische Ökonomie bedeutet aber darüberhinaus, dass Stakeholder, das heißt „externe“ Anspruchsgruppen und Betroffene darin einbezogen werden, wie eine wirtschaftliche Organisation Entscheidungen trifft. Doch ist die Solidarität mit externen Akteuren auf der Mikro-Ebene nicht genug.
Darüberhinaus müssen solidarökonomische Organisationen auch solidarisch miteinander kooperieren. Auf dieser Ebene liegt das wirkliche Potenzial von Genossenschaften. Dort liegt der Angelpunkt Solidarischer Ökonomie. Nur wenn Kooperativen kooperieren, verändert sich auch die Produktionsweise im Ganzen, die Art wie wir Güter und Dienstleistungen herstellen, verteilen und konsumieren. Erst durch die Kooperation von Kooperativen kann solidarisches Wirtschaften eine soziale und ökologische Transformation bewirken.
Selbst das ist freilich nur ein Element Solidarischer Ökonomie, nämlich das Element der Meso-Ebene. Solidarische Ökonomien müssen zudem die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und globalen Austauschverhältnisse erfassen, also die Makro-Ebene. Auf dieses Thema kommen wir im letzten Teil der Serie zu den vier Ebenen Solidarischer Ökonomie zu sprechen.
In diesem Beitrag soll es dagegen um die Praxis der Kooperation von Kooperativen gehen. Sie ist der Angelpunkt einer sozial-ökologischen Transformation. Die Kooperation vieler verschiedener solidarökonomischer Organisationen erlaubt, demokratische Beziehungen an die Stelle sozial rücksichtsloser Marktverhältnisse zu setzen. Diese übergreifenden sozialen Beziehungen setzen die Demokratie im Betrieb, im Haushalt, im sozialen Netzwerk erst wirklich frei. Genossenschaften konkurrieren dann nicht gegeneinander, sondern unterstützen sich wechselseitig. Wenn das geschieht, limitiert die Konkurrenz nicht mehr die Demokratie, sondern die Demokratie hegt die Konkurrenz ein und drängt sie zurück. Die Kooperation ist dann nicht mehr ein Spielball der Konkurrenz, sondern weist die Konkurrenz in ihre Schranken.
Für demokratische Unternehmen gibt es unzählige Beispiele weltweit. Auch für die Einbindung von Stakeholdern gibt es einen wachsenden Erfahrungsschatz. Im Unterschied dazu sind Solidarische Ökonomien auf der Meso-Ebene noch relativ wenig entwickelt. Zwar existieren viele Dachverbände von Genossenschaften, die Kooperation auf politischem und rechtlichem Gebiet verwirklichen. Doch bleibt die ökonomische Kooperation dahinter zurück. Deshalb skizziere ich im Folgenden ein Beispiel, das illustriert, wie Kooperation in ökonomischer Hinsicht funktionieren kann. Die Mondragón Corporación Cooperativa (MCC) im spanischen Baskenland zeigt: Genossenschaften können komplexe Kooperationsstrukturen entwickeln, die Krisen abfedern; sie müssen aber neue Antworten auf die Globalisierung finden, um ihren Zielen treu zu bleiben.
Die Mondragón Corporación Cooperativa (MCC): Ein Ökosystem
Aus einer Genossenschaft, die 1956 in der baskischen Stadt Mondragón in Spanien gegründet worden ist, hat sich ein Genossenschaftskomplex entwickelt, der seit den 1990er Jahren international agiert. Seit 1991 trägt er den Namen Mondragón Corporación Cooperativa (MCC). Eine Studie der Young Foundation von 2017 unterstreicht: „Mondragón ist weniger als eine einzige genossenschaftliche Gruppe zu verstehen, sondern eher als eine Reihe von vielfältigen Organisationen, die gemeinsame Werte teilen. Sie arbeiten zusammen um Erfolg und soziale Verbesserungen zu erzielen. Soziale Werte informieren und regulieren das tägliche Handeln und die grundlegenden Arbeitsweisen.“ Es handelt sich mehr um ein Ökosystem als einen Konzern.
Die MCC-Gruppe ist ein bedeutender Player in der Ökonomie des spanischen Baskenlands. Die Stadt Mondragón selbst prägt der Konzern in jeder Hinsicht. Rund 40% aller Beschäftigten sind im Baskenland tätig, weitere etwa 40% in anderen Regionen Spaniens. Der Rest entfällt auf Firmen im Ausland. Die MCC ist eines der zehn umsatzstärksten Unternehmen Spaniens. Den Beschäftigten nach ist es das viertgrößte spanische Unternehmen. Neben dem schieren Geschäftsvolumen von etwa 12 Milliarden EURO Umsatz pro Jahr und mehr als 80.000 Beschäftigten weltweit, fällt die MCC darüberhinaus durch die Vielfalt ihrer Aktivitäten ins Auge.
2020 umfasst die MCC mehr als 260 Firmen und andere Organisationen, 98 davon sind Genossenschaften. Neben den Produktionsgenossenschaften, die Haushaltsgeräte, Bauteile für die Autoindustrie, Maschinen und anderes herstellen, zählen dazu eine prosperierende Bank (Laboral Kutxa), die Supermarktkette Eroski, landwirtschaftliche Genossenschaften, Unternehmensdienstleister, Einrichtungen der angewandten Forschung und Ausbildungsinstitutionen, darunter eine Universität. Die MCC finanziert eine eigene Sozialversicherung (Lagun Aro). Das MCC-eigene Spital hat inzwischen die öffentliche Hand übernommen. Diese Einrichtungen sind in einem komplexen und bislang effektiven System wechselseitiger Unterstützung miteinander integriert.
Geschäftsvolumen und institutionelle Vielfalt entwickelten sich in den mehr als sechzig Jahren seit Gründung der MCC ausgesprochen dynamisch. Die Mondragón-Gruppe etablierte in dieser Zeit eine große Zahl an Genossenschaften, mit sehr wenigen Misserfolgen, und schuf eine überproportionale Zahl an Arbeitsplätzen, mit vielen positiven Auswirkungen auf die regionale Ökonomie. Auch die Krisenjahre seit 2008 hat die MCC gut überstanden – mit einer Ausnahme: dem Bankrott der ersten ihrer Genossenschaften, Fagor, im Jahr 2013.
Der Kern der MCC sind die Genossenschaften. Die Mitglieder einer Genossenschaft, die zur MCC gehört, sind zugleich Eigentümer_innen der Firma. Sie verfügen über gleiches Stimmrecht in der Generalversammlung, die ein Mal pro Jahr zusammentritt um wesentliche Entscheidungen zu treffen und die Zusammensetzung des Managements zu beschließen. Die maximale Einkommensdifferenz der Angehörigen der MCC beträgt 1 zu 9. Zum Vergleich: die geringsten und höchsten Einkommen in den Unternehmen der FTSE 100 Liste mit den größten und umsatzstärksten Unternehmen der Londoner Börse unterscheiden sich im Verhältnis von 1 zu 129. Im industriellen Kernbereich der MCC liegt der Anteil der Mitglieder zwar bei 80%. In Firmen außerhalb des Baskenlands und in anderen Unternehmenssparten sind allerdings sehr viele Beschäftigte keine Mitglieder. Deshalb beträgt heute der Anteil der Mitglieder nur mehr 40% aller Beschäftigten in der MCC. Daneben gibt es auch einen relativ hohen Anteil an befristeter Beschäftigung ohne Mitgliedschaft.
Eine Genossenschaft aus Genossenschaften
Die Besonderheit der MCC liegt auf der Meso-Ebene Solidarischer Ökonomie. Dabei spielt zunächst einmal die 1959 gegründete Bank der Gruppe eine wichtige Rolle. Sie erwies sich nicht nur als eine der erfolgreichsten Genossenschaften der MCC und entwickelte sich zu einem führenden Finanzinstitut in Spanien. Sie beschleunigte und stabilisierte auch die Erweiterung der Genossenschaftsgruppe. Zum Einen entstand aus der Bank die spätere Sozialversicherung der Mondragón-Gruppe (Lagun Aro). Die Mitglieder waren nicht Teil des staatlichen Sozialversicherungssystems und organisierten sich auf diese Weise ein eigenes soziales Sicherheitsnetz. Zum Anderen etablierte die Bank eine Abteilung zur Gründung neuer Kooperativen, die 1991 ebenfalls als eigenständige Kooperative (LKS) ausgegründet wurde.
Die Bank Laboral Kutxa gehört ebenso wie die später ausgegründete Lagun Aro zum Typus der Genossenschaften zweiten Grades. Anders als die Genossenschaften ersten Grades werden die Genossenschaften zweiten Grades nicht allein durch die dort tätigen Mitglieder verwaltet, sondern in wechselndem Ausmaß auch durch Delegierte der Genossenschaften ersten Grades. Die eigentümliche Situation, dass die Bank sich quasi im Besitz der Schuldner befindet, erlaubte eine weitgehende Koordinierung ihrer Aktivitäten mit den Zielen der Genossenschaftsgruppe insgesamt. Eine weitere Genossenschaft zweiten Grades ist die 1966 gebildete Studierendenkooperative Alecop. Die Studierenden finanzieren ihre Ausbildung teilweise selbst und erwirtschaften zugleich das notwendige Einkommen.
Neben dem Typus der Genossenschaft zweiten Grades entwickelten sich schon früh zwei weitere Eigenheiten der Mondragón-Gruppe. Die Gründer der ersten MCC Genossenschaft Fagor waren ausschließlich an der industriellen Produktion interessiert. In der Region bestanden zu dieser Zeit allerdings bereits mehrere Konsumgenossenschaften, die Ende der 1960er Jahre in finanzielle Schwierigkeiten gerieten. Sie baten die Mondragón-Gruppe geschlossen um Unterstützung, wurden aufgenommen und als eine neue Genossenschaft der Gruppe reorganisiert. Die 1969 gegründete Konsumgenossenschaft erhielt 1970 den Namen Eroski. Im Unterschied zu üblichen Konsumgenossenschaften sind in Eroski auch die Arbeitenden Mitglieder. Auf ähnliche Weise begann das Engagement der Mondragón-Gruppe im Agrarsektor, als sie auf Anfrage von Bauern die Genossenschaft Lana gründete. Anders als bei landwirtschaftliche Genossenschaften die Regel ist, sind in Lana nicht nur die Landwirt_innen, sondern auch die Arbeiter_innen Mitglieder.
Die Zahl der Genossenschaften vermehrte sich nicht allein durch die Aufnahme von Firmen oder durch unabhängige Neugründungen der Genossenschaftsbank, sondern auch durch die Politik der Dezentralisierung, die die Mondragón-Gruppe praktizierte. Um den bürokratischen Aufwand möglichst gering zu halten, wurden neue Produktlinien, die eigenständig betrieben werden konnten, von ihrer Muttergenossenschaft nach Möglichkeit als eigene Genossenschaften ausgegründet. Die Tochtergenossenschaften sind frei, Geschäftsbeziehungen mit Firmen außerhalb der MCC einzugehen. Zugleich werden Komplementaritäten beim Bezug von Produktionsmitteln oder beim Verkauf der Produkte innerhalb der Gruppe wirksam. So wurden etwa in den Anfangsjahren Genossenschaften gegründet, um den Bedarf an Bauteilen für Fagor zu decken. Das sicherte ihren Markt, während sie parallel dazu den Spielraum hatten, durch neue Kund_innen zu wachsen.
Die Spin-Offs oder Komplementärgenossenschaften wurden durch die Institution der Geschäftsbereiche gestärkt. Die einzelnen Mitgliedsgenossenschaften einer solchen Gruppe poolen ihre Profite und Verluste (in unterschiedlichem Ausmaß) und unterstützen sich damit wechselseitig. Sie teilen in manchen Gruppen auch gewisse Dienstleistungen und poolen Arbeitskräfte zum Ausgleich von Arbeitsspitzen.
Entscheidungsstrukturen
Die MCC hat eine komplexe Entscheidungsstruktur, die top-down und bottom-up Elemente kombiniert.
Auf der Nano-Ebene der einzelnen Genossenschaft entscheidet die jährliche Generalversammlung über alle strategischen Fragen. Die Generalversammlung wählt einen Steuerungsrat, der eine Geschäftsführung ernennt. Die Geschäftsführung bildet zusammen mit weiteren Manager_innen den Managementrat. Dieses Organ ist für die tägliche Unternehmensführung zuständig. Die Genossenschaftsmitglieder wählen zudem einen Sozialausschuss und darüberhinaus einen Ausschuss zur Rechnungsprüfung.
Die Struktur eines Geschäftsbereichs auf der Meso-Ebene ist ähnlich der einzelnen Genossenschaften. Auch auf der Ebene des Geschäftsbereichs bleiben aber die Einzelgenossenschaften die ausschlaggebenden Entscheidungsorgane. Die Organe des Geschäftsbereichs haben keine eigene Entscheidungsgewalt.
Die zentrale demokratische Institution der MCC ist der Kongress. Dieser besteht aus 650 Delegierten aus den einzelnen Genossenschaften. Er trifft sich jährlich und legt die generellen Leitlinien für die Genossenschaften der MCC fest. Die Steuerungsräte der Geschäftsbereiche wählen einen ständigen Ausschuss. Dieser ernennt einen Generalrat, dessen Aufgabe darin besteht, die Beschlüsse des Kongresses und des ständigen Ausschusses umzusetzen. Zwar gibt der Kongress strategische Leitlinien vor, die einzelnen Genossenschaften entscheiden in diesem Rahmen aber unabhängig. Der Generalrat hat keine Weisungsbefugnis gegenüber den Genossenschaften. Die Beziehungen zwischen Generalrat, Geschäftsbereichen und Genossenschaften beruhen auf Aushandlung, Überzeugung und wechselseitiger Unterstützung, nicht auf Kommandohierarchien.
Herausforderung Globalisierung
Die Öffnung des spanischen Binnenmarktes zuerst der EG, dann dem Weltmarkt gegenüber, setzte die MCC unter Druck. Das Management entschied sich, diesem Druck mit einer Strategie der Internationalisierung zu begegnen. Dabei werden in Billiglohnländern Joint Ventures eingegangen oder Firmen im Ausland aufgekauft. Diese ausländischen Partner oder Firmen der MCC sind keine Genossenschaften ‒ bislang jedenfalls.
Das Management der MCC begründet dieses Problem mit dem Argument, dass es nicht genügend Genossenschaften in den Branchen und Regionen gebe, in denen die MCC aktiv ist. Auch bestehe in diesen Regionen oft keine Genossenschaftskultur, die es ermöglichen würde, die betreffenden Firmen rasch in Form von Genossenschaften neu zu organisieren. Mitunter seien die Arbeitenden auch gar nicht daran interessiert, ihre Betriebe in Genossenschaften umzuwandeln, so heißt es.
Die Strategie der Internationalisierung führt die MCC also in ein moralisches Dilemma. Ausländische Billigproduktion und der Absatz von entsprechend kostengünstigen Waren auf ausländischen Märkten sind für die MCC zu einer wesentlichen Strategie geworden, Arbeitsplätze im Baskenland zu erhalten. Das hat ihr den Vorwurf eingebracht, nur auf regionale Vorteile zu zielen. Im Unterschied zu anderen Genossenschaften, die sich internationalisiert haben, sind dem Management der MCC die damit verbundenen Widersprüche bewusst.
Die MCC bewahrt bislang den Anspruch einer Solidarischen Ökonomie. Sie scheint sich zudem ihrer ursprünglichen Werte neuerdings wieder stärker zu besinnen. So bleibt die Möglichkeit bestehen, auf die Globalisierung mit solidarischen Strategien zu antworten. Der Geist der Genossenschaftsbewegung ist noch soweit lebendig, dass das Management der MCC die eigenen Widersprüche bemerkt und sich daran auch reibt.
So wird in der MCC darüber debattiert, wie die Widersprüche der Internationalisierung abgemildert, vielleicht sogar überwunden werden können. Diese Diskussionen zeigen ein Problembewusstsein. Es gibt praktische Ansätze, um mit der schwierigen Frage der Kooperation unter Bedingungen der Weltmarktkonkurrenz besser umzugehen. Das illustriert zum Beispiel die wirtschaftlich sehr erfolgreiche Genossenschaft Irizar, die Busse herstellt und zur MCC gehört. Die ausländischen Partner von Irizar sind zwar keine (oder noch keine) Genossenschaften. Allerdings ist immerhin das Lohnniveau dort höher als im regionalen Durchschnitt und die Arbeitenden haben gewisse Mitbestimmungsrechte, die denen in der MCC selbst nahekommen.
Der Degeneration entgegenwirken
Die MCC hat ein außergewöhnliches Beispiel an Solidarischer Ökonomie auf der Meso-Ebene hervorgebracht. Die organisationalen Lösungen, die dabei gefunden wurden, sind beeindruckend. Die MCC zeigt, dass Menschen demokratisch wirtschaften können und zugleich in einer kapitalistischen Umwelt bestehen können, die Solidarischen Ökonomien feindlich gesonnen ist. Sie ist ihrem Ziel treu geblieben, nicht Profit zu maximieren, sondern Arbeitsplätze und Einrichtungen zu schaffen um Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen.
Der Widerspruch zwischen Demokratie und Markt kann durch die bloße Kooperation auf der Meso-Ebene aber nicht beseitigt werden. Dazu ist das Baskenland zu klein, und die MCC viel zu sehr auf den Verkauf am Markt, und heute auch auf Internationalisierung ausgerichtet. Prinzipiell kann eine Genossenschaft in zwei Formen auf die Weltmarktkonkurrenz reagieren. Sie kann entweder Kooperationen mit anderen lokal wirtschaftenden Genossenschaften eingehen, oder sie kann sich selbst internationalisieren. Diesen zweiten Weg hat die MCC beschritten. Damit hat sie sich auch verstärkt der Gefahr der Degeneration ausgesetzt. Während die Internationalisierungsstrategie die MCC wirtschaftlich gestärkt hat, leidet ihr solidarökonomischer Anspruch.
Doch sind die Schwächen der MCC nicht nur ein Ergebnis ihrer Internationalisierungsstrategie.
Erstens ist sie kein aktiver Teil der Gewerkschaftsbewegung und das Verhältnis zu Gewerkschaften war oft gespannt. Dementsprechend wurde auch die Qualität der Arbeitsverhältnisse in der MCC immer wieder kritisiert.
Zweitens dominiert in der MCC die repräsentative Demokratie. Zudem beteiligen sich oft nur relativ wenige Mitglieder aktiv. Alles in allem handelt es sich bei der MCC nicht um eine partizipative Demokratie. Das mag mehrere Gründe haben. Es könnte etw sein, dass viele Mitglieder so zufrieden mit dem Management sind, dass sie keinen Grund dafür sehen, sich einzubringen. Jedenfalls ist die MCC kein Beispiel für eine wirklich lebendige Partizipation aller Arbeitenden. Das kann die Gefahren der Zentralisierung von Entscheidungen verstärken und dazu führen, dass sich die MCC von Gewerkschaften und breiteren sozialen Bewegungen abkoppelt.
Drittens zeigt sich in der MCC zum Teil ein unkritischer Effizienzdiskurs, der grundsätzliche Zwänge und Problematiken der kapitalistischen Produktionsweise nicht infrage stellt.
Diese Schwächen sind allerdings nicht notwendig mit einer Organisation wie der MCC verbunden. Beispielsweise orientiert sich die jüngste Genossenschaftsinitiative der US-amerikanischen Stahlgewerkschaft United Steel Workers an der MCC, beharrt aber auf der Präsenz im Betrieb. Sie vertritt das Modell der Gewerkschafts-Genossenschaft (union coop). Eine effektive Verbindung von Gewerkschaft und Genossenschaft könnte die Partizipation der Arbeitenden vertiefen. Vielleicht wäre das auch ein Mittel, die Demokratie in den Genossenschaften der MCC neu zu beleben, ebenso wie in jenen MCC-Unternehmen, die (noch) keine Genossenschaften sind. Neue Formen der Demokratie, die zugleich stark inklusiv und flexibel sind wie etwa die soziokratische Methode der Entscheidungsfindung könnten Alternativen zur repräsentativen Demokratie bieten. Die soziokratische Methode wäre für sehr große Organisationen wie die MCC geeignet. Das marktwirtschaftlich geprägte Denken in Effizienz muss nicht ungebrochen bleiben. So wurde in letzter Zeit festgestellt, dass gerade die Mitglieder in MCC-Genossenschaften verstärkt die Werte der Solidarität gegen Maßnahmen des Managements in Anschlag bringen, die zu sehr dem marktwirtschaftlichen Denken verpflichtet sind.
Die Schwächen der MCC sind allerdings nicht nur Ausdruck einer spezifischen historischen Entwicklung, die grundsätzlich offen ist. Einige dieser Schwächen sind durchaus mit den Zwängen verbunden, die übergreifende marktwirtschaftliche Strukturen mit sich bringen. Um diese Strukturen zu verändern, braucht es Solidarische Ökonomie auch auf der Makro-Ebene. Das wird das Thema eines kommenden Beitrags sein.
Ergänzender Bildnachweis: Holzkreise, Lupus in Saxonia via Wikimedia, CC BY-SA 4.0
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