COVID-19 hat unser Projekt City of Collaboration gewissermaßen überfallen. Die Wanderausstellung im öffentlichen Raum, die Genossenschafts-Messe im Herbst und die geplanten Workshops müssen wir verschieben. Dennoch machen wir weiter. Denn das Virus ist nicht allein deshalb gefährlich, weil das menschliche Immunsystem darauf nicht vorbereitet ist. Ebenso zeigt COVID-19 auf, dass die heute dominierende Wirtschaftsweise ihren Zenit überschritten hat. Es braucht eine Alternative. Eine grundlegend andere Art, wie Menschen miteinander umgehen, tut Not. So sehr, dass es richtiggehend schmerzt.
Viele Menschen verlieren nun ihre Einkommen. Firmen bankrottieren. Auf Frauen wird wieder unverschämt die Arbeit im Haushalt abgeschoben. Rücksichtslos werden Flüchtlinge an den Grenzen der EU dem Virus ausgeliefert, aus Fanatismus. Dieser Fanatismus ist der Zwilling einer dunklen Angst, die sich in Europa nach Jahrzehnten einer neoliberalen Politik der Privatisierung, der Verunsicherung und der Konkurrenz in allen Schichten breit gemacht hat.
Die Zeichen stehen auf Sturm, eine neue Weltwirtschaftskrise ist zu erwarten. Die Schuldenexzesse, die sich viele Staaten im Gefolge der Krise von 2008 leisteten, um kapitalistische Interessen zu bedienen und die Folgen einer fehlgeleiteten Wirtschaftsweise oberflächlich zu bereinigen, haben in Wahrheit immer gewaltigere Krisenpotenziale aufgetürmt, die sich nun zu entladen drohen.
Vor der erneuten, nun aber noch schwärzeren Kulisse eines Krisengewitters im globalen Maßstab hebt sich die Fahrlässigkeit der unsolidarischen Politik der vergangenen Jahrzehnte grell ab. So wurde im Namen des „Standortwettbewerbs“ die „Effizienz“ im Spitalsbereich unablässig gesteigert – eine lebensbedrohliche Entwicklung, wie sich nun zeigt. Denn lieber wurden nach der Krise von 2008 Banken „gerettet“ als eine gute öffentliche Infrastruktur. Das heißt: Die Gesundheitssysteme reicher Länder wie Österreich sind keineswegs krisenfest. Nun ist zu sehen, was eine unsolidarische Politik, die sich allein am Profit orientiert, angerichtet hat. Dass diese Politik buchstäblich Menschenleben aufs Spiel setzt, war freilich schon zuvor bekannt.
Das gemeinsame Haus der Menschheit – eine Stadt der Solidarität
Ebenso bekannt waren im Grunde auch die Alternativen: Solidarisch produzieren, auf Augenhöhe kooperieren, sich an den Bedürfnissen von Menschen orientieren anstatt am Profit. Diese Prinzipien der Solidarität, der Kooperation und der Bedürfnisorientierung schließen sich wie eine Triangel zusammen, und es ist die Demokratie in der Wirtschaft, die diese Triangel zum Klingen bringt.
Diese Alternative Solidarischer Ökonomie zu fördern, das heißt genossenschaftlich zu produzieren, zu konsumieren, und zu leben, ist das Anliegen von City of Collaboration und sein Kernthema.
Mit City of Collaboration stellen wir uns der Frage, wie Graz in Zukunft wirtschaften will. Aber wir gehen noch einen Schritt weiter und betrachten Graz nicht nur für sich. Diese Krise ruft nach überregionaler, internationaler, ja, globaler Kooperation. Solidarische Ökonomie und der Geist der Genossenschaftlichkeit lassen sich nicht in den Käfig nationaler Grenzen sperren. Die Menschheit ist eine große Familie. Auch wenn sie sich erst noch finden muss. Die Alternative, die es dafür braucht, kann nicht darin bestehen, sich auf nationale Grenzen und brüchige Identitäten zurückzuziehen, die an der Lebensrealität zerschellen. Sie besteht in dem gemeinsamen Haus der Menschheit, das wir bewohnen, sie liegt in der Stadt der Solidarität, die wir für diese Welt bauen müssen. Das ist der Grundgedanke von City of Collaboration, das Herzmotiv unseres Projekts.
Menschliche Bedürfnisse statt ewigem Wirtschaftswachstum
Um wieder Halt und Tritt zu finden, braucht es mehr Austausch von Ideen, Wissen, Unterstützung.
Und es braucht dringend Ansätze, die zweierlei leisten: Erstens muss der wirtschaftliche Abschwung durch Solidarische Ökonomien abgefedert werden; das muss auf verschiedenen Ebenen geschehen, im Haushalt, im Verbund von Haushalten, innerhalb und zwischen Betrieben, in der Wirtschaftspolitik und auf internationaler Ebene; zweitens muss die Krise dafür genutzt werden, unsere Abhängigkeit von ständigem Wirtschaftswachstum abzubauen.
Denn wie Greta Thunberg am UN Climate Action Summit in New York 2019 sagte: „Wir stehen am Anfang eines massenhaften Artensterbens, und alles worüber ihr sprecht sind Geld und Märchen von ewigem Wirtschaftswachstum“. Den Delegierten schleuderte sie deshalb entgegen: „Wie könnt ihr es wagen!“
Greta Thunberg, UN Climate Action Summit, 2019
Ja, wie könnt ihr, wie können wir es wagen, in unserer blinden Jagd nach immer mehr Gütern und Dienstleistungen, nach immer mehr Effizienz und Profit diesen Planeten zu ruinieren.
Demokratie ist der Kern der Solidarität
Solidarische Ökonomien, die Demokratie im Wirtschaftsleben verwirklichen und vom Geist der Genossenschaftlichkeit getragen sind, haben diese Kraft: Sie können den Krisenprozess abmildern, und uns aus der Abhängigkeit von einem undifferenzierten wirtschaftlichen Wachstum befreien.
Diesem Anliegen widmet sich City of Collaboration.
Seit dem 19. Jahrhundert haben Solidarische Ökonomien immer wieder dabei geholfen, schwere Krisen zu bewältigen. Denn wenn es hart auf hart geht, sind wir auf unsere Beziehungen zurückgeworfen. Daran entscheidet sich, ob es uns gut geht oder nicht; ob sich das Blatt günstig wendet: ob wir Solidarität üben, Kooperation zulassen, uns an unseren Bedürfnissen orientieren, und diese Prinzipien auf dem festen Boden der Demokratie verwirklichen. Auf diesem Weg haben Solidarische Ökonomien das Los der arbeitenden Klassen weltweit verbessert, von unzähligen Fabrikarbeiter_innen, Heimarbeiter_innen, von Bäuer_innen und Bauern – im Zusammenspiel mit Gewerkschaften, Interessensverbänden, und sozial orientierten politischen Parteien. Und sie bringen auch heute soziale Sicherheit und Prosperität für prekarisierte Ich-AGs, vereinzelte Reinigungskräfte, notleidende Bauernhöfe, und viele andere, die sich das Credo von Friedrich Wilhelm Raiffeisen zu eigen machen: „Was eine allein nicht schafft, das schaffen viele“.
Genossenschaften sind der Kern einer besseren Gesellschaft, die Kooperation zwischen Genossenschaften ist der Weg aus dem ständigen Auf und Ab von Krise und Bonanza, die den Kapitalismus seit seinen Anfängen kennzeichnet, ob mit oder ohne COVID-19.
Gründet Genossenschaften!
Dafür arbeiten wir, und dazu möchten wir euch aufrufen. Auf dieser Website werden wir beleuchten, wie Solidarische Ökonomien und genossenschaftliches Wirtschaften Krisenprozesse mildern können, dazu beitragen, Krisen gut zu bewältigen, und ein besseres Leben ermöglichen.
Wir möchten euch inspirieren und informieren, Tipps geben und Beispiele aufzeigen. Wir wollen einen Zündfunken der Hoffnung in einer zunehmend düsteren Welt schlagen. Wir wollen den Schatz heben, den die Erfolge der Vergangenheit uns bieten – damit wir lernen für Heute. Wir wollen dazu anregen, praktisch etwas zu verändern: anders zu produzieren, zu konsumieren, zu leben.
Damit unsere Gesellschaft nach der Viruskalamität auf einem besseren Weg ist als zuvor. Der Rückgang der Treibhausgasemissionen, die für Jahrtausende die Lebensbedingungen unserer Kindeskinder schädigen, ist dafür ein erster guter Schritt. Diesen Rückgang verdanken wir den Maßnahmen gegen das Virus. Doch müssen wir nun alles daran setzen, dass wir diesen Schritt nicht sozial in Form von massenhafter Erwerbslosigkeit, noch weiter verschärfter Ungleichheit und neuen Krisen büßen, sondern für eine dringend notwendige Trendumkehr nutzen: vom Abgrund zum Aufgang.
Mehr zu Solidarischer Ökonomie und Genossenschaften hier.
Ergänzende Bildnachweise: Titelbild, Felix Mittermeier via Pixabay; Mann auf Straße mit Obdachlosen (Skid Row, Los Angeles), Theodore Hayes via Wikipedia (CC-BY-SA 4.0); Hände, Bob_Dmyt via Pixabay; Greta Thunberg, Anders Hellberg via Wikimedia (CC-BY-SA 4.0)