Den letzten unserer vier Genossenschaftstalk führten wir mit Herrn Mag. Florian Jagschitz vom Coop Verband. Nach einer kurzen geschichtlichen Einführung über die Entstehung des Coop Verbandes, erzählte Herr Jagschitz von drei ihrer Verbandsmitglieder und nannte die 9-Schritte zur Beachtung bei einer Neugründung.
Herr Jagschitz ist seit drei Jahren beim Verband Coop und seit einem Jahr im Vorstand. 1856 wurde in Österreich die erste Konsumgenossenschaft gegründet. Diese galt zur einfacheren Lebensmittelversorgung der Arbeiter*innenschicht, welche sich zur Zeit der industriellen Revolution nicht mehr selbst versorgen konnte. 1872 wurde ein Allgemeiner Verband auf Selbsthilfe beruhenden Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften gegründet und seit 1873 gibt es das Genossenschaftsgesetz. 1903 entstand das Genossenschaftsrevisionsgesetz und der Verband erhielt die Erteilung des Revisionsrechtes. Im Laufe der nächsten 100 Jahre gab es zahlreiche Namens- sowie auch Strukturänderungen. Vom Zentralverband österreichischer Konsumvereine über die Gründung der Großeinkaufsgesellschaft österreichischer Konsumvereine, den Verband deutschösterreichischer Konsumvereine war der Verband seit 1979 bis 2018 unter dem Namen Konsumverband bekannt. Erst vor drei Jahren wurde dieser in Coop Verband umgetauft, um eine breiter Basis zu erreichen und unterschiedliche Genossenschaften anzusprechen.
Heute umfasst der Verband 30 Mitglieder darunter Produktivgenossenschaften, Kreditgenossenschaften, Sozialgenossenschaften, Dienstleistungsgenossenschaften und Energiegenossenschaften. Jedoch gibt es noch keine Beschäftigungsgenossenschaft (beispielsweise ein Zusammenschluss von Künstler*innen, die unregelmäßig beschäftigt sind) unter ihren Mitgliedern. Die älteste Genossenschaft im Verband feiert nächstes Jahr ihr 120-jähriges Bestehen, während die jüngste letztes Jahr gegründet wurde. Der Verband umfasst also eine große Bandbreite und bietet seinen Mitgliedern ein Expert*innennetzwerk sowie Unterstützung an. Da es sich hierbei um einen eher kleineren Verband handelt, kann sehr flexibel, rasch und unbürokratisch gearbeitet werden.
Zu den Mitgliedsgenossenschaften zählen unter anderem die Aecco Genossenschaft, welche die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft forciert und als Bindeglied zwischen Produzent*innen und Verbrauch*innen fungiert. Aecco vertreibt nachhaltige Produkte aus Nutzhanf und anderen Öko-Rohstoffen. Spannend ist hierbei auch das Kuriensystem in ihrer Satzung – hierbei gibt es Kund*innenkurien, Partner*innenkurien sowie Investor*innenkurien, welche unterschiedliche Vorteile bieten.
Eine weitere Genossenschaft im Verband ist die Keramik Bruckner Genossenschaft aus dem Burgenland. Herr Bruckner erzeugt mit seiner Familie Tonfiguren, Weihnachtsschmuck sowie Teller und Geschirr. Dabei benutzt er drei Vertriebswege: das Internet, unterschiedliche Märkte sowie externe Händler.
Die dritte Genossenschaft im Bunde, welche von Herrn Jagschitz vorgestellt wurde, ist die Grätzl Genossenschaft. Durch den Bau von 3.000 neuer Wohneinheiten in der Nähe von Wien entstand diese Bürgergenossenschaft für einen guten Zusammenhalt im Wohnbau. Durch die Zusammenarbeit mit der Gemeinde und Finanzierung durch die öffentliche Hand, entstand die Grätzl Genossenschaft. Diese bietet in der Siedlung Gemeinschaftsräume die man nutzen kann, eine Nachmittagsbetreuung, Mittagessen, Treffpunkte für Senioren, Carsharing, Nachhilfe, gemeinsam Aktivitäten wie Wanderungen ,etc. Man kann sich außerdem unterschiedliche Geräte ausborgen, es gibt eine Kleidertauschbörse und eventuell bald auch eine Food-Coop, die Produkte direkt von Landwirten holt und dann vor Ort vertreibt. Die Grätzl Genossenschaft ist eine europäische Genossenschaften. Hierfür wird zwar ein Mindestkapital von 30.000€ benötigt, dafür geht die Haftung der Mitglieder nicht über die Einlage hinaus. Für eine europäische Genossenschaft müssen mindestens zwei Mitglieder aus unterschiedlichen europäischen Ländern dabei sein.
Herr Jagschitz beschrieb zum Schluss das 9-Schritte System bei Neugründungen im Verband.
1) Kontaktaufnahme
2) Businessplan (3-5 Jahre und mit Zahlen unterfüttert; der Verband erstellt anschließend eine Wirtschaftlichkeitsprognose)
3) Erstellung einer Satzung (Satzungsautonomie)
4) Aufnahmezusicherung
5) Gründungsversammlung (Dabei handelt es sich quasi um die erste Generalversammlung und es werden wichtige erste Schritte wie bspw. die Gründung der Genossenschaft, die Wahl des Vorstandes und Aufsichtsrates, der Beschluss des Beitrittes zum Coop Verband, die Satzung besprochen und beschlossen, außerdem wird jemand beauftragt, um den Firmenbucheintrag zu stellen, wofür das Protokoll der Gründungsversammlung notwendig ist.)
6) Firmenbucheintragung (Hierfür benötigt man den Antrag des Verbands, die Satzung, das Protokoll der Gründungsversammlung, die Aufnahmezusicherung sowie die Musterzeichnung vom Notar.)
7) Meldung beim Finanzamt (Steuernummer und UID-Nummer)
8) Gründungsgespräch nach erstem vollem Geschäftsjahr
9) 2-jährige Revision
Alles in allem sieht Herr Jagschitz vor allem die Satzungsautonomie, das einfach Ein- und Austreten der Mitglieder sowie die geringe Haftung und das demokratische Prinzip als große Vorteile der Genossenschaft gegenüber anderen Rechtsformen.
Herr Jagschitz freut sich über Veranstaltungen wie unsere Reihe der Genossenschaftstalks, um die Gründungen zu erhöhen. Dies sollte außerdem durch die Gründungsberatung der Wirtschaftskammer, welche der Wahrnehmung nach selten über Genossenschaften spricht, erweitert werden. Weiters sollten auch die Wirtschaftskammer und Steuerberater*innen tiefer in das Thema eintauchen, da es sich um eine sehr vielfältig einsetzbare Rechtsform, vor allem für Gemeinschaften, handelt. Die Zukunft der Genossenschaft sieht er vor allem in Dienstleistungsgenossenschaften, bei welcher sich Selbstständige aus unterschiedlichen Sparten zusammenschließen und dadurch vor allem bei steuerlichen und weiteren bürokratischen Abwicklungen gegenseitig unterstützen und gemeinsam stärker auftreten können. Durch die Corona-Krise gab es, wie in den generellen wirtschaftlichen Aktivitäten, auch in ihrem Verband bzgl. Neugründungen einen Stillstand. Vor Beginn der Krise war hingegen viel los im Verband, dies wird sich hoffentlich auch bald wider zeigen.
Wir bedanken uns bei Herrn Mag. Jagschitz für seinen spannenden Input und seine Zeit.
Dies war der letzte Talk in unserer Reihe der Genossenschaftstalks 2021 und wir hoffen und freuen uns auf zahlreiche ähnliche Events zur Vernetzung und zum Publikmachen der Genossenschaften.
Titelbild: Photo by Dylan Gillis on Unsplash