Buchrezension 2: „Transformation leben“

»Ihr Linken da draußen: Es macht einen Unterschied wie ihr einander behandelt. Menschen sind nicht austauschbar, schätzt einander.« – Das schrieb Carla Weinzierl, jung verstorben, als Aktivistin für soziale Gerechtigkeit. Sie schrieb aus eigenem Leiden heraus. Es steht als Zeichen dafür, wie schwer es gerade jenen Kräften immer wieder fällt, die angeben, sich für ein besseres Leben für alle einzusetzen, dieses Ziel und den Weg dorthin glaubhaft zu verkörpern. Mehr noch: Es verweist auf die noch grundlegendere Schwierigkeit, dieser Verkörperung überhaupt einen gebührenden Stellenwert einzuräumen, sich also ernsthaft mit der Frage zu befassen, wie Transformation praktisch werden kann. Diese Auslassung zeigt sich in der Sprache wie in den Umgangsformen der Linken verschiedener Schattierungen. Sie schwächt ihre Praxis. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die Mutter der modernen Linken in den Blick zu nehmen, das Christentum. Dieser Blick lohnt aus drei Gründen: Erstens teilt die Linke mit dem Evangelium, der christlichen Botschaft also, das Streben nach Befreiung; zweitens leidet die Kirche fast ebenso wie die Linke unter einer Spaltung zwischen offiziellem Anspruch und gelebter Praxis; drittens kann die Linke von manchen christlichen Strömungen gerade deshalb etwas lernen. Dafür eignet sich »Anpacken, nicht einpacken!« von Ferdinand Kaineder. Kaineder ist Theologe und leitete viele Jahre das Medienbüro der Ordensgemeinschaften Österreichs. Sein Buch verkörpert den Geist der Transformation. Es sprüht geradezu von dem, was es schüren will: Begeisterung für ein besseres Leben für alle. Kaineder liefert keine theoretische Analyse, sondern lässt uns an Wegen seines Lebens teilhaben – »mit ihm gehen«, würde der Autor vielleicht formulieren. Kaineder ist dabei keineswegs unpolitisch oder theorielos. Klar benennt er die kapitalistische Wirtschaftsweise und neoliberale Politik als Strukturbedingungen von Armut, Leiden und Zerstörung. Mit Kritik an der »Hierarchiekirche« und am »männlichen Klerikalismus« spart er nicht. Dennoch gleicht sein Buch an keiner Stelle einer linken Publikation. Das liegt weniger an seinem Thema, wie Kirche wieder lebendig wirksam werden kann. Es hat mehr damit zu tun, dass die Begegnungen und Überlegungen und die oft treffenden Aphorismen, die Kaineder zu einem buchstäblich belebenden Geflecht der Inspiration verwebt, auf jeder Seite klar machen: »Gute Beziehung ist eine ständige Quelle der Kraft, der Heilung« (S. 100). Denn »Christen glauben nicht an die Liebe. Sie lieben.« (S. 42). In die Sprache einer säkularen Linken übersetzt würde das wohl heißen: Wir glauben nicht an ein besseres Leben für alle. Wir alle leben besser. Und das, so macht Kaineder auch für jene anschaulich, die nicht christlich glauben, erfordert einen besseren Umgang miteinander.

Eine Rezension zu Ferdinand Kaineder: Anpacken, nicht einpacken! Für Gemeinschaft, die begeistert; Herder-Verlag, Freiburg 2020.

verfasst von Andreas Exner, erschienen in der Ausgabe 440 der Zeitschrift „Contraste: Zeitung für Selbstorganisation“

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